BioenergiedörferFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Bioenergie-Kommune Randegg/Gottmadingen

Teil 1 der Reportage-Reihe: Grüne Wärme für Dörfer und Städte

Der 1.400-Einwohner-Ort Randegg im Landkreis Konstanz in Baden-Württemberg ist bei der Wärmeversorgung seit Jahren autark – mit einer intelligenten Mischung aus Holz, Solarthermie und starken, regionalen Partnern. Bürgermeister Michael Klinger und Wärmenetz-Betreiber Bene Müller erzählen im Gespräch mit der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe von ihren Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung einer Bioenergie-Kommune.


    Bürgermeister Michael Klinger (rechts) und Vorstand Bene Müller vom beteiligten regenerativen Energieversorger Solarcomplex

    FNR: Wie ist die Idee entstanden, in Ihrem Ort bei der Energieversorgung unter anderem auf Biomasse zu setzen?

    Michael Klinger: Am Anfang stand die Ini­tiative des Familienunternehmens Mine­ralbrunnen Randegger Ottilien-Quelle. Der Mineralwasserproduzent ist hier im Ort ansässig und ein Vorreiter in Sachen CO2-Vermeidung und Umweltschutz. Un­ter anderem setzt man seit langem auf Mehrwegglasflaschen. 2006 stellte die Ot­tilien-Quelle dann die Wärmeerzeugung ihrer Flaschenwaschanlage auf Holzener­gie, konkret auf einen 700 kW-Pelletkessel um. Der Hauptwärmebedarf für die Flaschenreinigung liegt naturgemäß in den absatzstarken Sommermonaten, im Winter war der Kessel nicht voll ausgelas­tet. So entstand die Idee, ihn als Heizung für ein Nahwärmenetz zu nutzen.

    Bene Müller: Auf einer Info-Veranstaltung haben wir die Möglichkeit zum An­schluss weiterer Gebäude vorgestellt. An diesen Termin erinnern wir uns noch heute gerne, denn die Resonanz war enorm. Schnell wurde klar, dass es um mehr gehen würde als die freien Kapazi­täten des Pelletkessels. Schlussendlich mussten wir zusätzlich einen Hackschnitzelkessel mit zwei MW Wärme­leistung installieren, um den Bedarf zu decken.

    Welche Akteure waren an dieser Entschei­dungsfindung beteiligt?

    Klinger: Wichtiger Partner der Gemeinde war von Anfang an der regenerative Re­gionalversorger solarcomplex – eine Firma, die über große Erfahrung mit der Umsetzung von Nahwärmenetzen ver­fügt. Die Gemeinde wäre weder tech­nisch noch planerisch in der Lage gewe­sen, dieses Projekt selbst zu stemmen.

    Die Bevölkerung spielt auch eine wichtige Rolle — wie haben Sie sie eingebunden?

    Klinger: Ein zentraler Akteur war die Un­ternehmerfamilie Fleischmann, Inhaber der Ottilien-Quelle. Dass sie den Gedan­ken des Nahwärmenetzes öffentlich un­terstützte, trug maßgeblich zur Überzeu­gung der Bevölkerung bei. Außerdem war die Information der Hausbesitzer wichtig: In rund einem halben Dutzend Veranstaltungen wurde der Bevölkerung die Idee des Nahwärmenetzes nahege­bracht — so haben wir am Ende die kriti­sche Masse an Anschlussnehmern zu­sammenbekommen. Wichtig war auch, dass der Gemeinderat mit dem Anschluss der Schule, des Kindergartens und der örtlichen Halle ein starkes politisches Zeichen pro Nahwärme gesetzt hat und gleichzeitig selbst zu einem der größten Wärmeabnehmer wurde.

    Welche Faktoren waren maßgeblich dafür, dass Sie sich entschieden haben, Bio­masse einzubeziehen?

    Müller: Das war zum einen der günstige Erzeugerpreis von Holzenergie für uns als Energieversorger, der bei rund 2,5 bis 3 Cent pro Kilowattstunde Wärme lag. An die Haushalte konnten wir die Wärme dadurch zu einem attraktiven Endpreis von anfangs 10 Cent brutto/ kWh abgeben. Zum anderen ist die Re­gion hier sehr waldreich. Holzhackschnitzel sind deshalb gut verfügbar, und wir hatten auch bereits Kontakte zu Lieferanten.

    Welches Betreibermodell haben Sie ge­wählt?

    Müller: In der Wärmeplanung verfolgen wir einen regionalen und keinen lokalen Ansatz. Das heißt, dass nicht für jedes Projekt eine eigene Betreibergesellschaft gegründet wird, an der sich die Men­schen vor Ort beteiligen können. Solar-complex ist vielmehr ein Regionalversor­ger, der in vielen Orten Wärmenetze und regenerative Erzeugungsanlagen wie Solarparks betreibt. An ihnen können sich die Menschen der ganzen Region be­teiligen.

    Welchen Vorteil hat das?

    Müller: Diese Strategie senkt den Verwal­tungsaufwand, da man sonst für 20 Wär­menetze 20 Betreibergesellschaften gründen und verwalten müsste. Auch er­gibt sich automatisch eine Risikostreu­ung zwischen den Projekten, manche laufen besser, andere schlechter als pro­gnostiziert.

    Wie schätzen Sie den Erfolg der Randegg-Anlage im Betrieb ein?

    Klinger: Aus Sicht der Gemeinde läuft die Anlage extrem erfolgreich. Lediglich in der Phase der Inbetriebnahme gab es ei­nige kritische Stimmen, als die Wärme-übergabestationen wegen Verschmut­zungen im Leitungsnetz Probleme mach­ten. Seitdem gab es keine negativen Rückmeldungen — mit einer Ausnahme: Es gab kurz Kritik in einer Tiefphase des Ölpreises. Ursprünglich hatten wir den Wärmepreis so an den Ölpreis gekoppelt, dass die Pelletwärme immer zehn Pro­zent günstiger als die Wärme aus Heizöl liegen sollte. Das war bei dem niedrigen Ölpreis dann nicht mehr zu halten.

    Welche Folgen hatte das?

    Klinger: Anfangs reagierte die Bevölke­rung darauf verständlicherweise mit Un­mut. Letztlich war aber den meisten klar, dass sie die Jahre zuvor von tie­fen Wärmepreisen profitiert hatten und dass das Ganze ein langfristiges, gemein­sames Projekt ist. Daraus resultierte dann auch die notwendige Solidarität in der Preisgestaltung. Die Kosten für fossile Energieträger sind bekanntlich zwi­schenzeitlich durch die Decke gegangen, und viele Randegger sind inzwischen heilfroh über den Anschluss ans Nahwärmenetz. Im Vergleich zu unseren Preisen kostete Wärme aus Erdgas oder Heizöl seit Beginn der Energiekrise je nach Ver­sorger schon mal ein Vielfaches!

    Müller: Wir bei solarcomplex sind eben­falls sehr zufrieden mit dem Randegger Projekt — wie auch unsere Kunden. Ein Beleg dafür ist die hohe Zahl der nach­träglichen Anschlüsse. Übrigens stößt das Projekt auch außerhalb der Ge­meinde auf großes Interesse: Wir haben bereits Dutzende an Führungen für Gruppen aus verschiedenen Ländern durchgeführt.

    Welche Erfahrungen haben Sie im Bereich der Lieferanten und Verträge gemacht?

    Müller: Die Belieferung mit Holzhackschnitzeln in der definierten Qualität funktioniert gut, es gibt langjährige Lie­ferantenbeziehungen mit regionalen An­bietern. Abgerechnet wird nach Wärme­menge, über einen geeichten Wärme- mengenzähler am Hackschnitzelkessel. Der Preis war in den vergangenen fünf Jahren leicht rückläufig, vor allem auf­grund des hohen Angebots an Käferholz: durch Schädlinge befallene Bäume in Folge der Dürren ab 2018. Seit 2022 steigt er aber wieder spürbar an.

    Würden Sie mit Ihren heutigen Erfahrun­gen die Anlage neu konzipieren?

    Klinger: Aus Sicht der Gemeinde würden wir an der Planung und der Konzeption nichts ändern. Wichtig scheint mir aber als Vertreter einer mittelgroßen Kom­mune mit rund 10.000 Einwohnern, dass man ein solches Projekt nicht ohne einen starken und erfahrenen Partner angehen sollte.

    Müller: Heute würden wir das Kollektorfeld von Anfang an einplanen und nicht erst später nachrüsten. Zentral ist die Standortsuche für Heizzentrale und Kollektorfeld. Hier stoßen wir häufig auf eine ausgeprägte Spekulations- mentalität der Grundstückseigentümer. Für ein Grundstück zur Belegung mit Solarkollektoren kann man aber keine Baulandpreise zahlen. Aus unserer Sicht müsste für derartige Infrastrukturen die baurechtliche Privilegierung im Außenbereich gelten. Hier gilt es, § 35 Baugesetzbuch anzupassen. Dies wäre für Solarkollektorfelder und Biomasse-Heizzentralen notwendig. Die in § 35 (1) 6 BauGB genannte Bioenergienutzung ist nur für land- und forstwirtschaftliche oder gartenbauliche Betriebe im Außenbereich privilegiert. Es ist nicht möglich, in hunderten oder gar tausenden von Gemeinden jeweils ein eigenes Bebauungsplanverfahren durchzuführen. Dazu sind die personellen Kapazitäten weder bei Gemeinden und Behörden noch bei den Gutachtern vorhanden. Angesichts der Energiekrise stellt diese Pflicht für ein Bebauungsplanverfahren eine unnötige Hürde dar.

    Warum würden Sie Solarthermie heute von vornherein als Ergänzung für Bio­masse mit einplanen?

    Müller: Auch wenn in den letzten Jahren der Markt von Käferholz über- schwemmt wurde, ist Holz doch grundsätzlich eine knappe und kostbare Ressource. Wir können und wollen nicht von Öl und Gas komplett auf Holzenergie umsteigen. Das Ziel sollte immer ein intelligenter und an den lokalen Ressourcen ausgerichteter, passender Mix sein. Wir gehen deshalb mit Holz sparsam um. Das heißt, dass es so weit wie möglich zum Beispiel durch direkte Solarenergie ersetzt wird. Auch die Flächeneffizienz spricht dafür.

    Was heißt das konkret?

    Müller: Von einem Hektar Wald erntet man rund 20.000 kWh im Jahr, von ei­nem Hektar Kollektorfeld rund zwei Mil­lionen kWh. Grundsätzlich brauchen wir eine individuelle Mischung verschiede­ner erneuerbarer Quellen für die Wärme­wende, Holz kann da ein Baustein sein. Wo es nachhaltig zur Verfügung steht, ist seine Nutzung auf jeden Fall sinnvoll, denn Holz liefert auch im Winter in der „Dunkelflaute“ zuverlässig Energie, wenn erneuerbarer Strom knapp ist. Auch Biogasanlagen könnten mit der Be­reitstellung von Biomethan noch wesent­lich mehr zur Wärmewende beitragen.

    Steckbrief: Bioenergie-Kommune Randegg/Gottmadingen

    • Ort: Randegg, Ortsteil der Gemeinde Gottmadingen im Landkreis Konstanz 
    • Anzahl angeschlossener Gebäude: ca. 150
    • Nahwärmenetz aktuell: 7 km
    • Bioenergie: Hackschnitzelkessel 2 MWth , Pelletkessel 700 kWth
    • Solarthermie: 2.400 m2 mit jährlichem Wärmeertrag von gut 1.000 MWh
    • Anteil der Energiequellen an der Wärmeversorgung: Biomasse 78%, Solarthermie 20%, Öl 2%
    • Holzverbrauch: rund 6.000 Schüttkubikmeter/Jahr, Anlieferung aus einem Umkreis von max. 30 km
    • Wärmepreis (2023): 11,66 Cent/kWh 
    • Jahr der Inbetriebnahme: Pelletkessel 2006, Hackschnitzelkessel 2009, Wärmenetz 2009, Kollektorfeld 2018
    • Betreibergesellschaft des Wärmenetzes: solarcomplex AG

    Erstveröffentlicht im Magazin "der gemeinderat" Nr. 9/2023; das Interview führte Nicole Paul, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der FNR 

    Die Randegg-Luftaufnahme rückt die Bedeutung der Solarenergie in den Blick: im Vordergrund die Gebäude der Ottilien-Quelle, im Hintergrund das Solarkollektorfeld. Foto: solarcomplex