BioenergiedörferFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Bioenergie-Kommune Neustrelitz

Teil 3 der Reportage-Reihe: Grüne Wärme für Dörfer und Städte

Die 20.000 Einwohner-Stadt Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass Biomasse-Heizkraftwerke auch in größeren Orten eine Option für eine autarke, erneuerbare Energieversorgung sein können. Im Gespräch mit der FNR erklärt Bürgermeister Andreas Grund das Neustrelitzer Modell mit Wärme und Strom aus Resthölzern in einer waldreichen Region und den weiteren Weg in Richtung Klimaneutralität.

Foto: Fotostudio Jung, Neustrelitz

FNR: Herr Grund, wie ist die Idee entstanden, in Ihrem Ort bei der Energieversorgung neue Wege zu gehen und u.a. auf Biomasse zu setzen?

Andreas Grund: Ziel der Stadt war es, eine Alternative zu Heizöl und Erdgas im Hinblick auf die damals bereits steigenden Investitions- und Betriebskosten anzubieten. Zudem wollten wir den Klima- und Ressourcenschutz sowie die Luftreinhaltung nachhaltig verbessern. Im Vorfeld haben wir eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse uns in unserem Vorhaben bestärkte. Der Bau war damals ein Leuchtturmprojekt für den Klimaschutz, auch wenn es einige Skeptiker gab. Man hat uns belächelt, eine ganze Stadt mit Wärme und Strom aus Biomasse versorgen zu wollen. Gemeinsam mit unseren Stadtwerken haben wir das Vorhaben aber umgesetzt.

Welche Akteure waren an dieser Entscheidungsfindung beteiligt und wie haben Sie die Bevölkerung eingebunden?

Grund: Wir als Stadtverwaltung haben eng mit unserer städtischen Tochter, den Stadtwerken, zusammengearbeitet. Gemeinsam wurde die Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene überzeugt. Natürlich kann so ein Projekt nur mit den Einwohnerinnen und Einwohnern realisiert werden, die wir noch vor dem symbolischen, ersten Spatenstich informiert haben. Das Thema wurde in öffentlichen Veranstaltungen, ja sogar in den Schulen besprochen. Von Beginn an hatten wir uns die Philosophie der Transparenz auf die Fahnen geschrieben.

Welche Faktoren waren maßgeblich für Ihre Entscheidung für die Einbeziehung von Biomasse? Welche regionalen Gegebenheiten haben dabei eine Rolle gespielt?

Grund: An erster Stelle stand der Unabhängigkeitsgedanke. Holz ist in unserer Region ausreichend vorhanden und mit Holzenergie ist man Energiekrisen weniger ausgeliefert – die Preise unterliegen nicht so starken Schwankungen wie bei den fossilen Brennstoffen. Unsere Stadtwerke konnten die Fernwärme in den vergangenen Jahren somit zu stabilen Preisen anbieten, aktuell liegt der Preis bei 16 Ct./kWh. Als Brennstoff nutzen wir jährlich etwa 75.000 Tonnen Hackschnitzel aus unbehandeltem Restholz, das bei der Durchforstung in den umliegenden Wäldern anfällt. Wir bekommen es von bis zu zehn Lieferanten aus der Region.

Welches Betreibermodell haben Sie gewählt und warum haben Sie sich für dieses Modell entschieden? Was waren die Vorteile? Welchen Herausforderungen galt es zu begegnen?

Grund: Im Konzessionsvertrag vom 1.1.1992 zwischen der Stadt Neustrelitz und der Stadtwerke Neustrelitz GmbH ist geregelt, dass die Stadtwerke Neustrelitz die Versorgung des Gemeindegebietes mit elektrischer Energie, Gas, Wasser und Fernwärme übernehmen. Unsere Stadtwerke betreiben dazu seit 2006 das Biomasse-Heizkraftwerk, das gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Auch bei der Verteilung dieser Energie sind wir autark: Neben dem 29-km-langen Fernwärmenetz besitzen die Stadtwerke auch das 20kV-Mittelspannungsnetz, über das der Strom zu den Kunden fließt. Das Strompreisniveau liegt in Neustrelitz aktuell bei 36 ct/kWh.

Wie schätzen Sie den Erfolg der Anlage im Betrieb ein? Wie ist die Akzeptanz der Bevölkerung?

Grund: Das Biomasse-Heizkraftwerk Neustrelitz liefert jährlich 45.000 MWh Strom und 63.000 MWh Wärme, wir sparen über 14.000 Tonnen CO2 gegenüber fossilen Brennstoffen ein. Das sind wirklich beachtliche Zahlen! Insgesamt deckt das Heizkraftwerk fast drei Viertel des Wärmebedarfs von Neustrelitz ab. Der in der Stadt verbrauchte Strom stammt wiederum zu 72 Prozent aus erneuerbaren Quellen – aus dem Heizkraftwerk, aus Photovoltaik- und Biogasanlagen im Gemeindegebiet. Damit ist Neustrelitz auf dem Weg zur Klimaneutralität, denn physikalisch versorgen wir uns schon jetzt zu 90 Prozent mit erneuerbaren Energien. Zur großen Akzeptanz in der Bevölkerung haben auch Bausteine wie das Landeszentrum für erneuerbare Energie (Leea) beigetragen. Dieses Informations- und Erlebniszentrum für Klimaschutz und erneuerbare Energien hat sich zu einem touristischen Anziehungspunkt in der Mecklenburgischen Seenplatte gemausert. Die Stadtvertreter haben dem Vorhaben zugestimmt, den Standort zu einem „Grünen Gewerbegebiet“ weiter zu entwickeln. In dem Zuge sind weitere erneuerbare Anlagen geplant, u. a zwei Windenergieanlagen, außerdem Stromspeicher. Damit wollen wir den Einstieg in eine regionale Wasserstoffproduktion wagen.

Welche Erfahrungen haben Sie im Bereich der Lieferanten und Verträge gemacht? Worauf gilt es zu achten?

Grund: Wir haben langfristige Verträge mit bis zu zehn festen regionalen Anbietern. Bislang lief die Zusammenarbeit gut, erst seit Beginn der Energiekrise gestaltet es sich zunehmend komplizierter, Holzhackschnitzel in der erforderlichen Menge zu ordern. Aufgrund der aktuellen europäischen Entwicklungen, die Holz auch über das Jahr 2030 hinaus als erneuerbar anerkennen, sind wir jedoch zuversichtlich, dass sich diese Situation wieder entspannen wird.

Würden Sie mit Ihren heutigen Erfahrungen die Anlage neu konzipieren, was würden Sie anders machen? Welche Hinweise können Sie Interessierten aus anderen Kommunen an die Hand geben?

Grund: Aus heutiger Sicht würden wir sicher größer bauen, möglicherweise mit einer Redundanzanlage, die ebenfalls Holzhackschnitzel nutzt. Wichtig ist es für so ein Projekt, kompetente Energieberater und Planer ins Boot zu holen. Mit Blick in die Zukunft hoffen wir, die Kraftwerksasche wiederverwerten und den Energiekreislauf so weiter schließen zu können.

Steckbrief: Bioenergie-Kommune Neustrelitz

Ort: Neustrelitz im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern

Anzahl angeschlossener Gebäude: 533 Haushalte, 38 öffentliche Gebäude und Einrichtungen

Fernwärmenetz: 29 km

Bioenergie: Biomasse-Heizkraftwerk (KWK-Anlage) mit 28,5 MW Feuerungswärmeleistung

Anteil der Energiequellen an der Wärmeversorgung: 74 Prozent Bioenergie (naturbelassene Hackschnitzel), 25 Prozent Erdgas, 1 Prozent Heizöl

Holzverbrauch: 75.000 Tonnen/Jahr, Anlieferung aus einem Umkreis von 40 Kilometern

Jahr der Inbetriebnahme des Biomasse-Heizkraftwerkes: 2006

Betreiber: Stadtwerke Neustrelitz GmbH (100 Prozent im kommunalen Eigentum)


Erstveröffentlicht im Magazin "der gemeinderat" Nr. 2/2024

Biomasseheizkraftwerk Neustrelitz (Foto: Dr. Hansen/FNR)

Biomasseheizkraftwerk Neustrelitz (Foto: Dr. Hansen/FNR)